Diesen nicht ganz ernstgemeinten "Vortrag" hielt ich im Rahmen einer Veranstaltung unseres Südasien Instituts 2007
SAME SAME, BUT DIFFERENT
Wer schon einmal selbst in Indien war wird vielleicht Ilija Trojanow beipflichten, der über seine Erfahrungen in Indien schreibt:
„Kaum war ich verführt worden wurde ich angewidert, im Handumdrehen betört und gleich darauf zur Verzweiflung gebracht, und doch noch vor Sonnenuntergang wieder versöhnt.“
Nun, es ist tatsächlich so:
Kaum hat man in Indien den Flughafen verlassen und sich in einer Autoriksha in den Verkehr gestürzt, erlebt man einen wichtigen Teil der indischen Lebensphilosophie: „Ich hupe, also bin ich.“
Oder sollte man sagen „Ich hupe, also bin ich noch!“
Alles hupt, ohne ersichtlichen Grund und in erster Linie um klar zu machen: „hier bin ich und ich bin nicht bereit Rücksicht zu nehmen.“
Auf den meisten indischen Autos, und das ist wirklich wahr, steht: Please blow horn! Man wird also aufgefordert zu hupen. Vielleicht handelt es sich dabei um eine Art Ritual?! Lernt man nicht, dass Indien das Land der Rituale ist?
Zwar herrscht in Indien offiziell Linksverkehr, dieser ist meiner Meinung nach aber nur eine Empfehlung.
Vielmehr gilt auch im Verkehr, wie in der indischen Gesellschaft generell, ein hierarchisches System. Und schließlich gibt es zur Not ja auch noch die Vollbremsung, die ein zentraler Teil von Dharma, der gesetzhaften Ordnung des Kosmos, ist. Denn bereits in der Bhagavadgita lesen wir, wie Krshna sagt: “Du sollst jede Tat unabhängig von ihren Folgen ausführen!“
Je größer das Fahrzeug, desto höher der Rang und die Vorfahrtchancen.
Ganz unten, sozusagen die Unberührbaren des Straßenverkehrs, sind die Fußgänger. Leider ist der Name „Unberührbarer“ nicht wirklich Programm und so kommt es doch hin und wieder zu Berührungen mit motorisierten Fahrzeugen.
Nicht nur die Menschen, auch die überall herumirrenden Tiere sind Teil des Verkehrs und so kommt es nicht selten vor, dass der ein oder andere Affe von einem Auto nieder gefahren wird.
Doch das tote Tier liegt keine 2 Minuten auf der Straße. Menschen kommen und legen Blumengirlanden ab, decken das Tier mit einem orangefarbenen Tuch ab und falten die Hände vor der Brust. Wer jetzt allerdings glaubt, die Affen würden als Reinkarnationen des Affengottes Hanuman immer und überall verehrt, der hat sich wie so oft in Indien geschnitten.
In einem Restaurant wurde eigens ein Affenverscheucher eingestellt, der den ganzen Tag nichts anderes tat als mit einer Steinschleuder die Affen davon abzuhalten, auf die Tische der Touristen zu springen.
Ich fragte ihn also, ob die Affen denn nicht heilig wären?! „Doch“ antwortete er,
„but Madam, cows are even more holy!“
Und trotz der Gefahren im Verkehr ist man in Indien auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen und die meiste Zeit verbringt man auch in eben jenen.
Zudem muss man zugestehen, dass man die tollsten Erlebnisse gerade in Bus und Bahn macht.
Zunächst einmal sollte man sich von den indischen Warnschildern in den Bussen, besonders in Großstädten wie Delhi, nicht allzu sehr aus der Fassung bringen lassen, obgleich Schilder mit der Aufschrift „please look under your seats, there could be a bomb. If there is a bomb, please tell the driver.“ einem doch zunächst etwas befremdlich erscheinen und man sich entscheidet, besser nicht unter den Sitz zu sehen. Denn man lernt so oder so schnell, dass die Schilder nicht hängen, damit man das darauf befindlich einhält, sondern weil Schilder nun einmal dazugehören- Mit anderen Worten: Bittet man jemanden er möge doch das „no smoking“ Schild bei gefühlten 50 Grad im vollgestopften Bus beachten, bekommt man nur ein müdes Lächeln zurück, was nicht nur an dem gerauchten Stoff liegt, sondern an der Tatsache, dass sowohl Busfahrer als auch Schaffner der selben Sucht unentwegt frönen.
Gut, mit den Schildern nimmt man es nicht so genau. Mit den Fahrscheinen dafür umso mehr. Auf jeder noch so kurzen Fahrt heißt es dutzende Fahrscheine kaufen, und nicht selten Formulare ausfüllen, in denen man als Tourist nicht nur Reiseroute, sondern auch Absichten der Reise darzulegen hat.
Doch auch unter Einheimischen gibt es hin und wieder Auseinandersetzungen, beispielsweise wenn ein Sadhu (Heiliger Asket), nicht bereit ist die Fahrtkosten zu zahlen -mit der Begründung, er sein schließlich verdammt nochmal nicht umsonst heilig- und den Bus solange aufhält, bis ein genervter Fahrgast freiwillig den Betrag übernimmt.
Wer an Klaustrophobie leidet sollte jedoch das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln meiden...
Ich hatte beispielsweise ein Ticket in einem so genannten „sleeper bus“ gekauft, von dem es hieß er sei: „verrry comftble, Madam!“
Das ist „indisch“ und bedeutet soviel wie: eine hängende Liege 1,60m mal 60 cm für 2 Personen.
Aber, man reist ja schließlich um Abenteuer zu erleben und so gibt man sich auch damit zufrieden, besonders wenn man auf der Nachbarliege eine 4-köpfige Familie liegen sieht. Beim Heruntersteigen sei jedoch darauf zu achten, dass man nicht auf die im Gang schlafenden Kinder, Hühner oder andere Lebewesen tritt.
Der gemeine Inder kennt und braucht auch keine Privatsphäre. Sehr bezeichnend ist, dass Sie in keinem Hindiwörterbuch eine Übersetzung für „jemandem auf die Pelle rücken“ finden werden.
Und wenn man glaubt wenigstens in der Telefonzelle seine Ruhe zu haben, so hat man sich geirrt. Meist drängen sich 4-5 Kinder mit hinein um zuzuhören wie die lustige weiße Frau spricht.
Die indischen Kinder lieben es sowieso einen zu begleiten und mit englischen Floskeln zu bombardieren. So kam es auch, dass ich einem europäischen Begrüßungsritual auf die Schliche kam.
In vielen Indienforen und Reiseführern liest man, man sollte den indischen Kindern kein Geld geben, sonder vielmehr aus Europa Stifte mitbringen, denn diese liebten die Kinder umso mehr. Und kaum begegnet man in Indien den ersten Kindern hört man von überall: „One pen, madam, one pen!“ Was mich stutzig machte war die Tatsache, dass dieses „one pen“ garnicht nach einer Forderung klang, sondern vielmehr nach einer Begrüßung. Ich stellte ethnologische Forschungen an und fand heraus, dass die meisten Kinder beim Erhalten von Stiften weder besonders erfreut waren noch danach verlangt zu haben schienen. Ich fragte den etwa 25 jährigen Sohn meines Hotelbesitzers, der mich aufklärte, er selbst habe als Kind, als die ersten Touristen in sein Dorf kamen immer wieder Stifte geschenkt bekommen. Er habe dies irgendwann als europäischen Ritual verstanden. Wie andernorts Blumenketten verschenkt werden oder ähnliches hatten er und die darauf folgenden Generationen gelernt: der Tourist bringt Stifte mit, verteilt diese und sagt dazu „a pen!“
Dass die heutigen indischen Kinder am wenigsten Stifte brauchen, da sie oft nicht einmal Papier haben, ist uns natürlich nicht klar. Und so zog auch ich schmunzelnd durch die Straßen und begrüßte die Kinder ebenfalls mit „one pen“!
Als Reisender in Indien sollte man außerdem nichts dagegen haben betrachtet zu werden.
Auch gerne längere Zeit.
So 4-5 Stunden am Stück.
Auch der Busfahrer justiert gerne erst einmal den Rückspiegel so, dass er einen bestmöglich beobachten kann.
Ich meinerseits dachte mir: „euch werde ich das Leben langweilig machen“ und packte ein deutsches Buch aus. Etwas langweiligeres als jemandem beim Lesen zuzuschauen kann es ja nicht geben. Denkste!! Auch die Menschen zu bitten sich umzudrehen nützt nur sehr bedingt etwas. Auf englisch: keine Reaktion. Auf Hindi aber erreichte ich das genaue Gegenteil der gewünschten Reaktion. Zwar antwortete mir niemand auf Hindi aber in Windeseile hatte sich die Tatsache, dass dort eine weiße Frau Hindi sprach im Bus verbreitet und so hatte ich nicht mehr nur 3 Betrachter, sondern alle Insassen des Busses.
Am besten ist es also, und das ist wirklich wahr, wenn man am Anfang der Busfahrt vorne einsteigt, erzählt wie man heißt und wo man herkommt. Sollten Fragen bestehen, oder der Wunsch ein wenig zu betrachten, sollte dies jetzt geschehen, denn gleich würde man sich nach hinten in den Bus verziehen, weil man glaubte dort am sichersten zu sein...dort würde man aber schnell feststellen, dass nicht ohne Grund kein Inder freiwillig hinten sitzt, da die Straßen in einem so katastrophalen Zustand sind, dass man mehr in der Luft schwebt, oder an der Decke des Busses klebt, denn auf seinem Sitz bleibt.
Auch die Religion ist für viele Europäer in Indien sehr gewöhnungsbedürftig. Oh ja...in Indien, so heißt es, ist alles Religion. Ich lernte einen Engländer mittleren Alters kennen, den alles aber auch alles in Indien überforderte. Seine 90 jährige Mutter hatte ihn vor seiner Abreise gedrängt ein Testament zu schreiben und seine Mutter immer im Nacken, war sein Standardspruch zu jeder Gelegenheit: „Oh my Goodness, my mum would go funny!!“ Und der Mutter einer reisenden Amerikanerin wurde gleich von vornherein verschwiegen, dass die Reise nach Indien ging. Die Amerikanerin hatte vor Reiseantritt Postkarten aus verschiedenen europäischen Ländern besorgt, ordentlich beschriftet und ihren Gatten beauftragt, diese in wöchentlichen Abständen der alten Mutter vorzulesen.
Nun muss man sagen, dass Indien ganz so gefährlich dann nun doch wieder nicht ist. Doch schienen den besagten Engländer die meisten Bräuche stark zu befremden: In der Unterkunft, in der wir wohnten, wurde jeden Abend der Shiva Lingam, das Phallussymbol für Fruchtbarkeit, verehrt. Verwirrt fragte mich der Engländer, was die Inder dort täten: Nachdem ich es ihm erklärt hatte, schrie er laut und überaus deutlich:
„Oh my goodness, they worship a PENIS?!?!, Can you believe this?!?. My mum would go...usw.!“
Auch fällt es uns schwer sich an die Müllgewohnheiten anzupassen. Trennt unsereins die Orangenschalen vom restlichen Biomüll, so landet in Indien eigentlich alles auf der Strasse. Früher als es noch kein Plastik gab und die „natürliche Müllabfuhr Kuh“ für die Entsorgung zuständig war, war dies auch kein Problem. Heute sieht das ganze leider etwas anders aus. Umso erstaunter und freudig überraschter war ich also in einem Hotel Mülleimer zu entdecken...und wie sollte es anders sein: Schilder!
Auf den Schildern wurde man gebeten, die Mülleimer zu benutzen. „Aha!“, dachte ich mit europäischer Überheblichkeit: „Langsam wird´s!“ Die Putzfrau kam, nahm die Plastiktüten aus den Eimern, ging zum Fenster, öffnete es und warf den Müll hinaus auf die Strasse.
Man sollte sich in Indien nie zu sicher sein, was passiert.
So ist es sehr interessant, dass es im Hindi kein adäquates Wort für „gleich“ gibt.
Keine Situation ist gleich und so benutzen die Inder auch nur das englische Wort für gleich, nämlich „same“. Meist in doppelter Ausführung. „same-same“ So hört man nicht selten von Verkäufern, die sich nicht damit zufrieden geben, dass man nur eine Sache gekauft hat: „Madam, dis also really nice, same-same but different!“
Und dies gilt für alles in Indien. Und jeder der nach Indien reist wird sich an einiges was ich beschrieben habe erinnern und denken.
„same same but different!“
Mittwoch, 2. Februar 2011
himmelblau oder hühnchen-curry?
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Haha :-) Das klingt wie das komplette Gegenteil zur Schweiz. Different-different, not same-same *klockklock*
AntwortenLöschen*lach* Fantastisch dieser Bericht über real life in India!
AntwortenLöschenReel life, yes Madom!
Liebe Grüsse
Marieluise